Grace Blakeley, eine junge Oxford-Ökonomin, legt mit "Die Geburt der Freiheit aus dem Geist des Sozialismus" eine neue Monographie vor. Das Buch ist durchaus kapitalismuskritisch gehalten, aber nicht so pathetisch wie der schiefe deutsche Übersetzungstitel vermuten lässt. Die Autorin vereinfacht mitunter sozioökonomische Kontexte, gleichwohl liefert sie auch mit leichter Hand geschriebene nachvollziehbare Kritik.
Wenn konstitutive Legitimationsprinzipien nicht mehr eingehalten werden, dann entstehen auch Legitimationsprobleme. Diese Grundformel gilt für viele Lebensbereiche, so auch für Politik und Wirtschaft. Darauf stellt ein neues Buch über den Kapitalismus ab, das mit Grace Blakeley von einer bekennenden demokratischen Sozialistin stammt. Abschlüsse mit Auszeichnung hat sie in Oxford in Philosophie, Politik und Ökonomie erworben. Artikel von ihr erschienen in New Statesman und The Tribune. Blakeleys gemeintes Buch ist mit "Die Geburt der Freiheit aus dem Geist des Sozialismus. Wie das Kapital die Demokratie zerstört" überschrieben, im englischsprachigen Original lautet der Titel schlicht "Vulture Capitalism" ("Geier-Kapitalismus"). Was für die deutsche Ausgabe den pompösen Haupttitel motivierte, lässt sich bezogen auf die Entscheidung des Verlags nur vermuten. Auch die Formulierung des deutschen Untertitels ist schief, denn derartige Inhalte sind nur am Rande präsent. Aber solche Anmerkungen müssen nicht gegen Form und Inhalt einer Monographie sprechen.
Insofern sei der Blick zurück auf den Kern geworfen: Ein wichtiger Ausgangspunkt für die Betrachtungen von Blakeley ist, dass der Kapitalismus allgemein keineswegs auf freie Märkte setzt und auch gar nicht Planung strukturell ausschließt. Dem entgegen gesetzte Auffassungen prägten zwar die jeweilige Selbstdarstellung, gleichwohl handele es sich über die Geschichte hinaus um schiefe Interpretationen. Es habe im Kapitalismus immer eine Kooperation von Staat und Wirtschaft gegeben. Dieser Ansatz darf jedoch nicht mit einer starren "Stamokap"-Theorie früherer Zeiten verwechselt werden. Allerdings neigt Blakeley gelegentlich zu vereinfachenden Deutungen, die auch mal mit monokausalen Interpretationen im ökonomiezentrierten Sinne einhergehen. Indessen arbeitet sie mit vielen Beispielen einzelner Konzerne, welche jeweils eine Einleitung für die einzelnen Kapitel darstellen. Auf der Basis anschaulich geschilderter Fälle thematisiert sie allgemeine ökonomische und soziale Prozesse in der gemeinten Wirtschaftsordnung.
Zu Beginn geht es etwa um Boeing, das bekannte Flugzeugunternehmen und dessen unterschiedliche Probleme. Dazu heißt es: "Genau wie der globale Markt der Luft- und Raumfahrtindustrie sind viele der größten und wichtigsten Märkte, die in kapitalistischen Gesellschaften existieren, alles andere als frei. Sie werden von einigen wenigen Großkonzernen beherrscht, die über äußerst komfortable Beziehungen zum Staat verfügen" (S. 53). Und Blakeley richtet ihren Blick dann auch durchgehend auf diesen Komplex, der eben für eine im Kapitalismus kontinuierlich präsente Planung stehe. Bei den einschlägigen Erörterungen geht es dann mitunter hin und her, konkrete Beispiele und allgemeine Tendenzen, ökonomische Theorien und soziale Verwerfungen wechseln sich ab. Insbesondere die Ausführungen zur Kritik neoliberaler Positionen sind hier wichtig. Denn die in ihnen enthaltene Freiheitsbeschwörung ist häufig nur auf krisenfreie ökonomische Prozesse bezogen. Dabei ist aber die Hayek-Kritik über die ganze Monographie verteilt.
Das Bild vom Kapitalismus wird in seiner Komplexität gezeichnet: "Der Kapitalismus ist ein System, das auf Messers Schneide zwischen Wettbewerb und Koordination schwankt – und dieser Zustand erklärt sowohl seine Fähigkeit zur Anpassung als auch seine starren Ungleichheiten" (S. 112). Und dann weiter: "Die Verschmelzung von Wirtschaft und Politik ist ein entscheidender Teil dieses Modells" (S. 289). Damit will Blakeley aber nicht in Konspirationsvorstellungen münden, geht es ihr doch um Folgewirkungen von sozialen Strukturen: "Die Ungleichheiten der Macht resultieren nicht aus verschwörerischen Netzwerken, die von bösen Eliten geschaffen wurden, sondern sie sind das unvermeidliche Ergebnis der Klassenspaltung der Gesellschaft, die ein inhärentes Merkmal des Kapitalismus ist. Der Kapitalismus ist nie 'korrumpiert' worden; er funktioniert einfach so" (S. 406). Bei allen berechtigten Einwänden wäre aber auch auf seine positiven Effekte zu verweisen, lässt sich ansonsten doch seine Fortexistenz in der Gesamtschau schwer verstehen.
Blakeley will in ihrem Buch aber nicht nur Kapitalismuskritik betreiben, sondern auch auf mögliche Alternativen durch eine Demokratisierung der Wirtschaft verweisen. Daher behandelt sie Modelle "menschlicher Planung" (S. 345), womit einschlägige Erfahrungen in verschiedenen Ländern gemeint sind. Es geht mal um "Australiens grüne Verbote" und "Volksplanung in Kerala", mal um "Besseres Reykjavik" und "Genossenschaften am Mississippi" (S. 346-365). Die Fallbeispiele verdeutlichen die Innovationen, welche durch Engagement und Solidarität möglich sind. Dazu bedarf es sicherlich breiterer und komplexerer Darstellungen. Darüber hinaus betont die Autorin die Notwendigkeit fundamentaler Veränderungen. Als Beispiel wird das Chile der 1970er Jahre genannt, wobei das Allende-Experiment doch zu sehr im idealisierten Sinne erscheint. Das Ansinnen von Blakeley ist darüber hinaus auf die ökonomische Sphäre konzentriert, ein allgemeineres Bild von einer demokratischen Gesellschaft im politischen Raum vermittelt sie nicht.
Grace Blakeley, Die Geburt der Freiheit aus dem Geist des Sozialismus. Wie das Kapital die Die Demokratie zerstört, Stuttgart 2025, Tropen Verlag, 492 Seiten, 28 Euro