Klerikalismus, Autoritätsgläubigkeit und kollektives Schweigen haben den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen erst ermöglicht. Das zeigt der jetzt veröffentlichte Abschlussbericht der "Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Bistum Fulda".
Nach fast vier Jahren Arbeit hat die "Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt" im Bistum Fulda am Dienstag ihren Abschlussbericht vorgelegt. Das Dokument versammelt auf fast 319 Seiten nicht nur Zahlen zum Umfang von sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen im Bistum. Es dokumentiert auch das jahrzehntelange Versagen der Kirchenverwaltung bei der Prävention, der Aufklärung und dem Umgang mit Betroffenen.
Der Kommission unter dem Vorsitz des früheren Fuldaer Oberbürgermeisters Gerhard Möller gehörten Juristen, Historiker sowie Fachleute aus den Gebieten Psychotherapie und Sozialarbeit an, zudem ein Vertreter der Betroffenen. Fünf frühere Kriminalbeamte werteten insgesamt 2.124 Personalakten aus dem Zeitraum von 1945 bis 2024 aus. Die Bilanz: 239 Fälle von sexueller Gewalt durch Kirchenleute, mit 120 betroffenen Kindern und Jugendlichen.
Nur 37 der Opfer erhielten später von der Kirche finanzielle Anerkennungsleistungen, insgesamt 513.000 Euro. Zudem gab es 13 kirchenrechtliche Verfahren, 11 Versetzungen und 23 Strafanzeigen. Der Bericht schildert einige besonders markante Fälle. Die Beschuldigten: meist Priester oder Diakone, seltener Ordensleute.
All diese Zahlen vermitteln jedoch nur ein vages Bild vom wahren Ausmaß des Missbrauchssumpfs im Bistum Fulda. Die Dunkelziffer sei wohl um ein Vielfaches höher, steht in dem Bericht.
Fest steht jedoch, dass die Kirche den Opfern in ihren Nöten jahrzehntelang kaum Beachtung schenkte. "Man war blind für das Leid der Betroffenen", sagte Kommissionssprecher Möller. Die Beschuldigten konnten hingegen meist mit einer milden Behandlung rechnen. In der Regel wurden sie lediglich an eine andere Stelle versetzt – möglichst unauffällig, um das gute Ansehen der Kirche zu wahren. Während sie auf Rückhalt bei den Kirchenchefs und oft auch in der Gemeinde zählen konnten, wurden die Opfer – Kinder und Jugendliche – "gemieden, verunglimpft und an den Rand geschoben", wie es im Bericht heißt.
Mentalität des Totschweigens von Missständen und des Ausspielens von Kirchenmacht
Anhand zahlreicher Einzelfälle belegt das Papier, wie sich oft sogar die Eltern von Betroffenen auf die Seite der mutmaßlichen Täter stellten. Diese hätten ihre Position wohl ganz bewusst ausgenutzt: durch Autoritätsmissbrauch, aber auch durch Androhung von Höllenstrafen und Berufung auf den angeblichen Willen Gottes. "Hier zeigt sich, dass strenge katholische Sozialisation als Risikofaktor einzuschätzen ist", schreibt die Kommission.
Diese Mentalität des Totschweigens von Missständen und des Ausspielens von Kirchenmacht, auch Klerikalismus genannt, gilt als Faktor, der den Missbrauchsskandal erst möglich machte.
Lange habe das Bistum Fulda seine schützende Hand über die Tatverdächtigen gehalten, so der Bericht. Das sei erst Ende der 1990er Jahre anders geworden, gegen Ende der Dienstzeit des damaligen Personalchefs Weihbischof Johannes Kapp. Ab 2001 habe sich dann eine deutliche Zäsur im Umgang der Bistumsverantwortlichen mit Fällen von sexueller Gewalt gezeigt, laut Kommission "offensichtlich als Reaktion auf die Vorgaben aus Rom".
Doch bis heute tun sich die Gemeinden offenbar schwer mit der Aufarbeitung. So verschickte die Kommission 2023 einen Fragebogen an 152 Gemeinden im Bistum. Nur 19 antworteten überhaupt, darunter nur eine Gemeinde, in der es tatsächliche (oder mutmaßliche) Missbrauchsfälle gab. "Eine schmale Resonanz", resümiert Gerhard Möller.
Für die Zukunft empfiehlt die Kommission ein umfangreiches Maßnahmenpaket. So sollen neben den bestehenden Strukturen zur Prävention und Intervention auch ein unabhängiges Nachfolgegremium und eine Ombudsstelle eingerichtet werden. Betroffene sollen praktische Hilfe und therapeutische Unterstützung erhalten.
Die Falldarstellungen zeigen: Missbrauch ist kein isoliertes Geschehen zwischen Täter und Opfer. Das betonte auch Stephan Auth, der in der Kommission die Betroffenen vertritt. Oft habe es im Umfeld eine Art "geheimes Wissen" gegeben – ein dumpfes Unbehagen, das jedoch selten in Worte gefasst worden sei. Wie konnte das geschehen? Warum wurde geschwiegen, vertuscht, wurden Betroffene ausgegrenzt und mutmaßliche Täter geschützt? Diese Fragen gelte es zu klären. "Nur wer versteht, was war, kann künftig sicher handeln."
Bischof Michael Gerber, der seit 2019 im Amt ist, äußerte sich angesichts der Erkenntnisse "zutiefst bewegt". Er sehe sich und das Bistum in großer Verantwortung: "Wir haben in der Vergangenheit allzu oft einseitig auf den Schutz der Institution geschaut. Als Bischof von Fulda bitte ich Sie um Entschuldigung, bei Betroffenen und denen, die das Vertrauen in das Bistum verloren haben." Eine ausführliche Stellungnahme kündigte er für den 26. Juni an.